Otello - Feldherr, Liebender, Mörder...

Gedanken, Fakten, Hintergründe zu Verdis Meisterwerk

Werkeinführung Teil 1

1.Juli 2017

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Der Otello von Guiseppe Verdi gehört neben Aida und Falstaff zu seinen sogenannten Spätwerken. Eigentlich hatte der italienische Komponist beschlossen nie wieder eine neue Oper entstehen zu lassen und sich nur noch seinem Landgut in Sant`Agata zu widmen. Außerdem errichtete er die Casa di Riposi per Musicisti, ein Altersheim für ehemalige Musiker in Mailand. 1874 wurde er zudem noch zum Senator des Königreichs Italien ernannt. Nur der Hartnäckigkeit seines Verlegers Giulio Ricordi ist es zu verdanken, dass Guiseppe Verdi im November 1879 Arrigo Boitos Operntext zu lesen bekam und hellauf begeistert war. Sein Fazit lautete: „Es ist von der ersten bis zur letzten Seite ein wirklich durchdachtes Operndrama.“ Arrigo Boito war bereits früher auf Verdis Radar aufgetaucht, der immer auf der Suche nach neuen vielversprechenden Librettisten war.  Er soll der Uraufführung von Boitos Oper Mefistofele am 5. März 1868 beigewohnt haben. Vor dem Beginn der Arbeit am Otello ließ Verdi sein Libretto seiner Oper Simon Boccanegra von Boito überarbeiten. Diese Neufassung kam am 24. März 1881 in Mailand zur Afführung.

 


Im Jahre 1884 begann Verdi mit der Komposition von Otello. Am 1. November 1886, nur zwei Jahre später, war das Werk vollendet. Am 5. Februar 1887 fand an der Mailänder Scala die Uraufführung unter der Leitung von Franco Faccio statt. Die Titelpartie des Otello sang damals Francesco Tamagno, Romilda Pantaleoni die Desdemona und Victor Maurel den Jago. Der Abend der Uraufführung wurde ein großartiger Triumph. Ein knappes Jahr später fand in Hamburg die deutsche Erstaufführung statt. Im Juli 1889 folgte genauso erfolgreich London. Es folgten weitere Stationen in ganz Europa.

 

Eine Besonderheit dieser Oper ist sicherlich der gewaltige Eingangschor(„Una vela“), der in dem Fall die sonst übliche Ouvertüre ersetzt und beeindruckend und mit großer orchestraler Wucht den Sturm heraufbeschwört, mit dem Otello, der siegreiche Feldherr, zu kämpfen hat, als er nach gewonnener Schlacht zurück nach Zypern kehrt.

 

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 Meisterhaft lässt Verdi die ungeheuren Naturgewalten vor den Augen der Opernbesucher entstehen. Schließt man die Augen, so hat man das Gefühl ,sich plötzlich selbst mitten im Auge dieses gewaltigen Sturms zu befinden. Man meint, die grell zuckenden Blitze zu sehen und das Grollen des Donners zu hören. Und während der Orkan tobt und wütet, ist es möglich für den Befehlshaber der venezianischen Flotte,sich, seine Mannschaft und das Schiff unbeschadet an Land zu bringen. Das Volk jubelt(„Fuoco di gioia“) und es erklingt das wahrhaft erhabene und stolze „Esultate“ („Freut euch alle!- Dem stolzen Türken haben die Fluten dort ein weites Grab gegraben. Was den Waffen entrann, ertrank im Meere“) des siegreich Heimgekehrten. Otello verkündet, dass er die Türken vernichtend geschlagen hat.

 

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Ich möchte nun noch das Liebesduett von Otello und Desdemona am Ende des ersten Aktes erwähnen. Diese Augenblicke sind die einzig zarten und liebevollen Momente und zeigen letztendlich auf, warum Otello erstens ein so leichtes Opfer für Jagos Intrige ist und weshalb er am Ende so handelt und seine Ehefrau auf brutale Art und Weise umbringt. Der maurische Feldherr im Dienst der venezianischen Flotte ist ein Sieger und starker Mann, wenn es darum geht, Kriege zu führen und zu gewinnen. Auf dem Schlachtfeld kann ihm keiner etwas anhaben und er ist geachtet für seine Erfolge, die er in geraumer Zahl vorweisen kann. Trotzdem nagen die Zweifel an ihm, nicht genug zu sein. Die schrecklichen Bilder des Krieges wüten immer in seinem Kopf. Eine große Sehnsucht nach Ruhe, Frieden und Liebe bewegt trägt er in sich. Desdemona liebt ihn genau dafür und für das Leid, das Otello bereits in seinem Leben ertragen musste. Er liebt sie um ihrer Barmherzigkeit willen. Dieser Moment, den die beiden Ehepartner Ende des ersten Aktes erleben, wird der einzige sein. Für Otello, der ausgerechnet bezüglich menschlicher Beziehungen kaum eine Erfahrung aufweisen kann, ist es ein Gefühl des Glücks, das in überwältigt und gleichzeitig macht es ihm eine unglaubliche Angst, dieses tief empfundene Glück wieder zu verlieren und niemals wieder erleben zu dürfen. Lieber würde er in diesem Moment sterben, als den Verlust zu ertragen.

 

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Eine Todessehnsucht macht sich in ihm breit: „Komme der Tod, und nehme mich im Entzücken dieser Umarmung, des höchsten Augenblicks, hinweg. So groß ist der Jubel meiner Seele, dass ich fürchte, dieser göttliche Augenblick werde mir nie mehr gewährt sein in der unbekannten Zukunft meines Schicksals.“ Der Kuss als Sinnbild ewiger Liebe gewinnt in diesem Liebesduett eine besondere Bedeutung. Das Kussthema, ein paar kurze Takte in E-Dur, taucht im Laufe der Opernhandlung noch zweimal auf und ist am Ende das Sinnbild von Otellos erfüllter Liebe im gemeinsamen Tode.

Hier noch ein Ausschnitt aus dem Programmbuch der Bayerischen Staatsoper zur vergangenen Otello Produktion, die am 1. Juli 1991 im Münchner Nationaltheater Premiere feierte. Es geht um den Einfluss, den Richard Wagner auf die Kompositionsarbeit von Verdi hatte und wie sich das Konzept des Heldenbildes maßgeblich verändert hat.

 

„Schon der Verzicht auf den Venedig-Akt in Shakespeares Tragödie zieht ein fundamental gewandeltes Heldenbild in der Oper nach sich. Die musikalische Gewalt der einleitenden Chorszene vermittelt gleich zu Beginn die Schrecknisse, denen Otello ausgesetzt ist, und die Angst seines Volkes um sein Leben. In diesem Kontext bedarf es nur eines Dutzend Takte, nur zweier Sextaufschwünge und die Führung der Vokalstimme in den Spitzenbereich des Tenor- Brustregisters, um in Otellos Auftritt unmissverständlich mitzuteilen, welch ein Held die Bühne betritt. Die mit äußerster Kraft im forte herausgeforderte Auftrittsphase des Tenors verleiht seinem Charakter schärferes Profil, als es alle dramatischen Dialoge zum Ausdruck zu bringen vermöchten. Dieser Held besteht auch die schrecklichsten Gefahren und erfreut sich der hemmungslosen Verehrung durch seine Untertanen. Minuten später, im hitzigen Waffenstreit zwischen Cassio und Montano, derselbe Effekt: Eine einzige kurze Gesangphrase („Abasso le spade- Nieder mit den Säbeln“) konturiert die Erscheinung einer Respektsperson, die in ihren Führungsqualitäten uneingeschränkte Achtung genießt.

 


Mit nur wenigen musikalischen Strichen führte Verdi die Lichtgestalt eines Siegertyps ein, dem er zur Abrundung des strahlenden Charakters nur noch das Bild des melancholischen Liebhabers hinzuzufügen brauchte – im Duettfinale des ersten Aktes. Das Übrige stellte sich zwangsläufig ein: im tiefen moralischen und seelischen Sturz des leuchtenden Helden und berauschten Liebhabers offenbart sich die Ästhetik der musikalischen Tragödie, wie sie Richard Wagner inaugurierte. Der Volksheld und charismatische Führer Otello scheitert tragisch in seiner individuellen Liebe. Die Parallelen des Otello zu Wagners Lohengrin sind mit Händen zu greifen.“

 

„Weil Boito die verzweigte Intrige von Shakespeares Schauspiel rigoros zusammenstrich und Otellos Mordtat ausschließlich auf die platte Eifersuchtsgeschichte reduzierte, schuf er einen Charakter von extremer Fallhöhe. Im Gegenzug bedurfte es auch nicht der detaillierten Auflösung im Finale. Gerade noch der Umriss der Intrige wird aufgedeckt, dann konzentriert sich alles auf Otellos Abschied von dieser Welt und auf seine Sehnsucht nach dem Opfer Desdemona. Die Utopie des subjektiven, transzendenten Glücks beschließt die Oper, nicht das objektive Urteil der Welt, wie in Shakespeares Schauspiel.“     

 


Auch in der Gegenwart gilt Guiseppe Verdis Meisterwerk Otello als ein Garant für ein ausverkauftes Haus. Die Macht, die menschlichen Gefühle in Verbindung mit einer dramatisch erzählten Geschichte und einer Musik von solcher Intensität verspricht auch heute noch ein unvergessliches Erlebnis auf höchstem Niveau.  

Am Ende des ersten Teiles meiner Vorbereitung, auf die in drei Wochen stattfindenden Premiere am Münchner Nationaltheater, bleiben noch einige Fragen offen.                                             

 

Wäre es möglich gewesen, die Handlung zu verändern, dem Schicksal auszuweichen und das grausame Ende zu verhindern? Kann man die menschlichen Gefühle austricksen, außer Acht lassen oder gar besiegen? Dieser Frage werde ich im zweiten Teil meiner Vorbereitung zur Neuproduktion in München auf den Grund gehen. Wer sind Otello, Desdemona und Jago? Was treibt sie an und was bewegt sie.

 

Ich habe mich letztes Jahr schon zweimal mit dieser Thematik beschäftigt: Im Januar zur Neuinszenierung von Calisto Bieito an der Staatsoper in Hamburg und im Juli am Royal Opera House in London neu auf die Bühne gebracht von Keith Warner. Im zuletzt genannten Opernhaus gab Startenor Jonas Kaufmann am 21. Juni sein Rollendebüt. Wie immer unter der Leitung von Sir Antonio Pappano. Die entsprechenden Beiträge sind ebenfalls auf meinem Blog nachzulesen.

 

So sollen auch hier im zweiten Teil nicht nur die Figuren von Otello, Jago und Desdemona näher beleuchtet werden, sondern auch ihre Darsteller Jonas Kaufmann, Gerald Finley und Anja Harteros sowie die Regisseurin Amalie Niermeyer und ihr Regiekonzept näher vorgestellt werden.

 

GMD Kirill Petrenko, der die musikalische Leitung innehat, wird zum ersten Mal ein Werk von Verdi erarbeiten und somit natürlich auch seinen ersten Otello.

 

 

 

Und nun weiter mit dem zweiten Teil…