Von Hannah Klug / Wunderbare Welt der Oper
15. März 2022
(C) Wiifried Hösl / Bayerische Staatsoper
Dass ich im Abstand von vier Wochen zweimal über eine Peter-Grimes-Vorstellung schreibe, ist schon recht ungewöhnlich. Die Oper von Benjamin Britten
wird doch eher selten gespielt. Dieses Jahr gibt es eine Ausnahme, denn gleich drei der führenden Opernhäuser in Europa bringen dieses Werk zwischen Ende Januar und Ende März. auf die Bühne Die
Wiener Staatsoper präsentierte eine Wiederaufnahme, die Bayerische Staatsoper eine Neuproduktion von Stefan Herheim, und das Royal Opera House in London übernimmt die neue Produktion aus dem
Teatro Real in Madrid, die im April 2021 dort ihre Premiere feierte. Ich berichte nun nach dem "Peter Grimes" in Wien über die Neuinszenierung in München und muss gestehen, dass ich mittlerweile
ziemlich süchtig nach dieser berauschenden und fesselnden Musik von Benjamin Britten bin. So bringe ich es inklusive der gestreamten Premiere am 6. März auf nunmehr 8 Vorstellungen in gut vier
Wochen. Die Musik klingt mittlerweile sehr vertraut, und die Geschichte des Außenseiters Peter Grimes berührt mich immer mehr. Glücklicherweise kann ich nach meinem gemeinsamen Beitrag mit Thomas
Voigt zum Thema "Regie und Regiekonzepte" nach Wien auch von der Bayerischen Staatsoper über eine Neuproduktion berichten, die überaus respektvoll und wertschätzend mit diesem Werk umgeht, die
Musik an die Spitze stellt und die Geschichte so erzählt, dass man sie als Zuschauer jederzeit nachvollziehen kann, selbst wenn man mit Brittens Oper noch wenig vetraut
ist.
(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Man spürt in jeder Sequenz und jeder Szene ganz genau, wie viele Gedanken sich der verantwortliche Regisseur Stefan Herheim und sein Team gemacht haben, und wir erfuhren in der Premierenmatinee, wie eng die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten dieser Premierenserie, Edward Gardner, war, ebenso wie mit dem verantwortlichen Dramaturgen Malte Krasting, mit den Solisten Stuart Skelton in der Titelpartie oder Rachel Willis-Sørensen, die in München ihr weltweites Rollendebüt als Ellen Orford gab. In Stefan Herheims Regiekonzept des "Peter Grimes" spielen Lichteffekte eine große Rolle, genauso wie immer wechselnde Videoprojektionen, welche die unterschiedlichen Gefühlslagen und Lebenssituationen der Protagonisten sehr deutlich zum Ausdruck bringen. Ergänzend dazu gibt es eine Art Einheitsraum, der sich immer wieder ein wenig verwandelt und zusammen mit der perfekt ausgearbeiteten Lichtregie und den stimmungsvollen Videoinstallationen für starke und intensive Bilder sorgt. Edward Gardner, der sehr vertraut ist mit der Musik von Benjamin Britten und auch mit diesem Werk, lieferte zusammen mit dem Orchester der Bayerischen Staatsoper einen Klangteppich, auf dem sich die Solisten und der großartige Chor der Bayerischen Staatsoper sicher und wohl fühlen konnten. Die vier bekannten Interludes waren auch in München ein Highlight, und jede Sekunde wurde der Zuschauer mehr hineingezogen in die Geschichte um den Außenseiter Peter Grimes und seinen Kampf um Anerkennung in seiner Heimatgemeinde, der letztendlich in einer furchtbaren Katastrophe für ihn endet, während die werte Gesellschaft einfach so weitermacht, als sei nichts geschehen.
(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Die Solisten des Abends sorgten immer wieder für Gänsehautmomente und berührten ihr Publikum mit einer intensiven und authentischen Darstellung ihrer Figuren. Es war außerdem interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Interpretationen der Sänger im Vergleich zu Wien waren. Diese Anmerkung enthält, und das ist mir sehr wichtig, keine Wertung. Ich persönlich kann sowohl mit den Auslegungen in Wien als auch in München etwas anfangen und empfinde die Darstellungen der Sänger als gleich stark.. Stuart Skelton, der die Titelpartie in München singt, hat diesen vielseitigen Charakter schon häufig an verschiedenen Opernhäusern gesungen und ist daher sehr vertraut mit der Musik von Benjamin Britten. Er hat ganz persönliche Ansichten zu seiner Figur und ihrer Lebensgeschichte und vermittelt diesen entsprechend die Persönlichkeit des Fischers, der am Rande der sehr selbstverliebten, aber auch verlogenen Dorfgemeinschaft lebt und auch aufgrund seiner sozialen Unzulänglichkeiten keinen Weg findet, um sich einen Platz in der Gesellschaft zu sichern. Sein Peter Grimes wirkt nicht wirklich gewalttätig oder jähzornig, auch wenn er immer wieder mal Wutausbrüche zeigt; man spürt vor allem seine unglaubliche Einsamkeit und eine Verlorenheit, die tief berührt. Am Schluss, nachdem er vollkommen den Bezug zur Realität verloren hat, ist Peter Grimes innerlich leer und reagiert wie in Trance auf die Aufforderung seines Freundes, Kapitän Balstrode, sein Boot mit sich an Bord zu versenken. Stimmlich überzeugt der australische Tenor in den zarten und zerbrechlichen Phasen genauso wie bei den heroischen und kraftvollen Ausbrüchen. Die Höhen meistert der 54-jährige Opernsänger mühelos, und die Textverständlichkeit ist durchweg gut.
Die amerikanische Sopranistin Rachel Willis-Sørensen gab in der Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper ihr weltweites und erfolgreiches Rollendebüt. Ihre Interpretation der Witwe und Lehrerin des Dorfes, Ellen Orford, ist insgesamt eher als selbstbewusste und starke Frau angelegt, die den einen Wunsch hat, Peter Grimes zu retten und seinem neuen Lehrjungen John ein sicheres und neues Zuhause zu geben. Dass ihr Vorhaben auf der ganzen Linie scheitert, ist ihr persönliches Drama, mit dem sie am Ende zurechtkommen muss. Die 38-jährige Opernsängerin, die gerade erst einen exklusiven Plattenvertrag bei Sony an Land gezogen hat, überzeugt mit ihrer Darstellung und kann das Münchner Publikum schnell auf ihre Seite ziehen. Die sympathische Künstlerin fühlt sich auch stimmlich sichtlich wohl mit ihrer neuen Partie und meistert spielend alle Schwierigkeiten dieser Partitur. Die Piani sind zart, die Höhen sicher und die dramatischen Augenblicke kraftvoll und intensiv. Die Rolle der Ellen Orford bietet mit Abstand die schönsten musikalischen Augenblicke, und damit meine ich nicht nur die berühmte Embroidery Scene. Ein Höhepunkt in dieser Oper ist sicher das Frauen-Quartett im zweiten Akt, nachdem die Lehrerin von der ganzen Gruppe beschuldigt worden ist, den Lehrjungen John in große Gefahr gebracht zu haben. Die verzweifelte Ellen begreift immer mehr, wie ihr die Situation aus den Händen gleitet und ahnt, dass ihr Plan letztendlich zum Scheitern verurteilt ist.
Rachel Willis-Sørensen bietet mit ihrer Rolleninterpretation eine ganz persönliche Sichtweise auf diese Geschichte und nimmt die Zuschauer mit in die Welt ihrer Figur, die Gutes tun will und dafür den Verlust ihrer eigenen Stellung in Kauf nimmt.
(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Die dritte Hauptpartie, Kapitän Balstrode, übernahm in München der schottische Bassbariton Iain Paterson. Er vervollständigte das gesangsstarke Trio der Hauptdarsteller und überzeugte ebenso durch eine ausdrucksvolle schauspielerische Leistung. Seine Stimme hat einen angenehmen warmen Kllang und eine schöne Tiefe. Die Rolle ist perfekt auf den 49-jährigen Opernsänger zugeschnitten, der den Charakter seiner Figur authentisch und natürlich verkörpert und ihn schnell zu einem Sympathieträger in dieser Neuinszierung macht. Er ist neben der Witwe und Lehrerin des Dorfes, Ellen Orford, der einzige Mensch, der sich für Peter Grimes einsetzt und die Dorfgemeinschaft immer wieder ermahnt, den Frieden in der Gruppe zu wahren und sich der eigenen Unzulänglichkeiten bewusst zu werden. Er scheut sich auch nicht, einmal das Wort vor der bigotten und selbstverliebten Gesellschaft zu erheben. Daher fragt man sich am Ende, warum er seinem angeblichen Freund rät, den Freitod zu wählen anstatt ihm zu helfen, doch noch woanders ein neues Leben zu beginnen. Ob er wohl früher selber einmal in Ellen Orford verliebt gewesen ist ...? Besonders berührt hat die Szene, in der Rachel Willis-Sørensen ihre Embroidery Aria singt und Kapitän Balstrode die Verzweiflung über den Tod des Lehrjungen John ins Gesicht geschrieben steht. Eine insgesamt starke Leistung.
(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Erfreulicherweise waren auch alle Nebenrollen, zum Beispiel die Partien der Auntie (Claudia Mahnke), Bob Boles (Thomas Ebenstein), Mr Swallow (Brindley Sheratt), Rev. Horace Adams (Paul Groves) oder Ned Keene (Konstantin Krimmel) überzeugend besetzt. Extra erwähnen möchte ich noch Jennifer Johnston als Mrs. Sedley, deren wunderbares britisches Englisch man jederzeit glasklar verstehen konnte und die nicht nur eine wunderschöne und ausdrucksstarke Stimme mitbringt, sondern auch eine unglaubliche Spielfreude.
Den großartigen Chor der Bayerischen Staatsoper habe ich schon erwähnt. Er trägt unbestreitbar eine großen Anteil zum Erfolg dieser Premierenserie bei.
Benjamin Brittens Oper "Peter Grimes" ist eben ein Werk, in dem der Chor fast eine eigene Rolle innehat. Am Ende gab es den wohlverdienten Applaus für die Gesangssolisten, den Chor und das wunderbare Bayerische Staatsorchester mit seinem Dirigenten Edward Gardner. Wer dieses Mal keine Karte für eine der drei verbliebenen Vorstellungen hatte (die ersten beiden mussten gleich mal abgesagt werden), kann sich diese neue Produktion noch bis zum 9. April kostenlos auf Staatsopern TV anschauen oder bei BR-Klassik Concert. Aufgezeichnet wurde beides bei der verschobenen Premiere am 6. März. Aber auch ein Live-Erlebnis ist noch möglich. Im Rahmen der Opernfestspiele am 9. & 12. Juli. Schriftlich zu bestellen über die Website der Bayerischen Staatsoper oder beim Restkartenverkauf Ende März im Internet, telefonisch oder direkt am Schalter.
Ich mache mich als nächstes an die Rezension zur starbesetzten "Turandot" in Rom unter der Leitung von Sir Antonio Pappano. Bis bald, und wie immer sage ich Euch, bleibt mir bitte gesund!
(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Die Musik vermittelt
das innerste Seelenleben
von einem Gemüte zum anderen
am unmittelbarsten.
(Herrmann Ritter)