Von Hannah Klug / wunderbare Welt der Oper
7. Februar 2022
(C) Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Nach vier Vorstellungen von "Peter Grimes" und einer "Tosca" im Theater an der Wien gab es nun gestern die Wiederaufnahme-Premiere der Toten Stadt im Haus am Ring mit Klaus Florian Vogt als Witwer Paul und Vida Miknevičiūtė in der Partie der Marie/Marietta, sowie Adrian Eröd als Frank/Fritz und Monika Bohinec als Brigitta. In der unaufgeregten Inszenierung von Willy Decker und Wolfgang Gussmann (Bühne, Kostüme und Licht) bleiben Musik und Geschichte im Mittelpunkt und werden nicht von überflüssigen Regieeinfällen zugedeckt, die vom Inhalt und den hervorragenden Darstellern laufend ablenken. Es kommt zwar ein in letzter Zeit sehr beliebter Regieeinfall zum Einsatz, die Doppelung einer oder mehrerer Figuren, in dem Fall die des Paul, zum Glück aber sehr wohl dosiert und an den richtigen Stellen: u.a. in den Traumsequenzen von Paul, wenn er beginnt, in seine eigene Welt abzudriften und langsam den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren. Die Bühne verändert sich ansonsten nur wenig, dafür wird aber immer wieder mit Videoprojektionen und verschiedenen Lichteffekten gearbeitet, die sehr gut die unterschiedlichen Seelenzustände und Gefühlslagen des Witwers Paul unterstreichen. Da ich persönlich ein großer Liebhaber von reduzierten Bühnenproduktionen bin, in denen die Musik, die Geschichte und die Sänger, die sie erzählen, im Vordergrund stehen, bin ich ganz einverstanden mit der Lesart des Regisseurs und seines Teams. Die Wiederaufnahme gestern Abend war insgesamt die 24. Aufführung dieser Inszenierung. Drei weitere Vorstellungen folgen am 9.2., 11.2. und 14.2. in dieser Serie in identischer Besetzung.
(C) Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Klaus Florian Vogt singt nun also in dieser Wiederaufnahme ein weiteres Mal eine seiner Paraderollen. Ich habe ihn das letzte Mal an der Bayerischen Staatsoper in München vor fast genau zwei Monaten in dieser Partie erlebt und bin immer wieder begeistert über die stimmliche und darstellerische Interpretation des deutschen Tenors, der sich tatsächlich in den letzten Jahren sehr positiv weiterentwickelt hat. Die Stimme hat nach wie vor eine sehr helle Färbung, hat aber einiges an Substanz gewonnen, was sie wiederum voller klingen lässt, ausdrucksstärker und variabler in der Färbung. Die Höhen nimmt der 51-Jährige Opernsänger mühelos, die Piani sind wunderbar zart, die Ausbrüche im Forte kraftvoll, und die Textverständlichkeit ist wirklich exzellent. Die szenische Darstellung seiner Figur gestaltet der deutsche Tenor äußerst einfühlsam und gefühlvoll und gibt den Opernbesuchern einen differenzierten Einblick in Pauls Seelenleben und seine zeitweise im wahrsten Sinne des Wortes völlig "verrückte" und aus den Fugen geratene Welt, aus der er sich nur schwer wieder befreien kann, die ihn aber von Grund auf seelisch reinigt, den Heilungsprozess nach der Trauerphase einleitet und ihm die Chance für einen Neubeginn gibt. Diese Partie scheint wie für ihn geschrieben zu sein und bleibt hoffentlich dauerhaft in seinem Repertoire. Wer übrigens keine Gelegenheit hat, "Die Tote Stadt" live an der Wiener Staatsoper zu erleben, dem sei der kostenlose Livestream am 14. Februar auf der Website der Wiener Staatsoper zu empfehlen. Für mich steht diese Übertragung auf jeden Fall fest in meinem Terminkalender.
(C) Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Nachdem ich ausführlich über den Darsteller des Paul und die Inszenierung geschrieben habe, nun noch einige Worte zur Marie/Marietta des Abends. Zugegebenermaßen geht der Name der litauischen Opernsängerin, Vida Miknevičiūtė nicht gerade leicht von den Lippen und war mir persönlich bisher unbekannt. Ich freue mich aber immer wieder, neue Künstler auf der Bühne zu erleben und bin so manches Mal sehr positiv überrascht worden. Auch gestern Abend gab es eine durchaus angenehme Überraschung zu erleben. Die zierliche Sängerin konnte mit einer ausdrucksstarken und angenehmen Stimme aufwarten, die allerdings in einigen hohen Passagen etwas scharf klang und in manchen Augenblicken ein etwas zu ausgeprägtes Vibrato aufwies. Diese kleinen Anmerkungen sind aber nur marginal und sollen den guten Eindruck, den die 43-jährige Litauerin hinterlassen hat, auf keinen Fall schmälern. Die Bühnenpräsenz war in jedem Fall hervorragend, auch die Darstellung und Interpretation von Marie/Marietta wirkten durchgehend stimmig und überzeugten in jedem szenischen Abschnitt. Es sollte unbedingt noch erwähnt werden, dass Vida Miknevičiūtė jetzt in Wien ihr weltweites Debüt in dieser Partie gibt.
Die Opernsängerin verfügt über eine Menge Bühnenerfahrung und ein recht beachtliches Repertoire an unterschiedlichsten Rollen, die sie in ganz Europa gesungen hat. Die gestrige Vorstellung war eine stimmige und überzeugende Leistung, die Lust auf mehr macht. Die Figur der Marie/Marietta wird in den weiteren Vorstellungen ganz sicher noch einen Feinschliff erhalten und sich von Auftritt zu Auftritt weiterentwickeln. Ich wünsche Vida Miknevičiūtė dazu alles Gute und bin gespannt auf die nächsten Begegnungen auf der Bühne, vielleicht auch einmal bei uns in München.
(C) Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Abschließend muss es noch einige Worte zum hervorragenden Orchester der Wiener Staatsoper geben, das ja eigentlich faktisch die Wiener Philharmoniker sind - ein Luxus, der kaum zu glauben ist. Die musikalische Leitung gestern Abend hatte der junge deutsche Dirigent Thomas Guggeis. Der 29-Jährige ist designierter GMD an der Oper Frankfurt und darf seit seinem Einspringen für Christoph von Dohnányi bei der umjubelten Neuproduktion der "Salome" an der Staatsoper Berlin, die für internationales Aufsehen sorgte, den Titel "Staatskapellmeister der Staatsoper Berlin" tragen. Von 2018-2020 war Thomas Guggeis Kapellmeister an der Staatsoper Stuttgart und paralell dazu Assistent von Daniel Barenboim an der Staatsoper in Berlin. Auch an der Kammeroper in München oder im Theater an der Wien hat der junge Deutsche schon dirigiert. Sein Debüt gestern Abend im Haus am Ring war auf ganzer Linie Überzeugend und ein großer musikalischer Genuss, den man unbedingt wieder erleben will.
Thomas Guggeis führte sicher durch die anspruchsvolle Partitur, hatte ein gutes Gespür für die Sänger auf der Bühne, denen er genug Freiraum gab und dafür sorgte, dass sie trotz des satten Orchesterklangs niemals überdeckt wurden. Oben in der Galerie kam dieser exzellente Klang ganz besonders schön zur Geltung und bewies wieder einmal, wie sehr uns Musik tief in unserer Seele berührt, wenn wir uns nur darauf einlassen.
Auch bezüglich Thomas Guggeis hoffe ich auf zukünftige Gastspiele an der Bayerischen Staatsoper in MÜnchen und verabschiede mich für heute. Am Abend gibt es dann endlich Puccinis "Manon Lescaut" mit der überragenden Asmik Grigorian in der Titelpartie und Brian Jadge als Chevalier Des Grieux..
(C) Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum
(Friedrich Nietzsche)