23.März 2020
(C) Bill Cooper / Royal Opera House
Auch wenn uns die Coronakrise weiter fest im Griff hat oder gerade deshalb, möchte ich Euch unbedingt
noch von meiner Reise nach London berichten und insbesondere von den zwei Vorstellungen des Fidelio
im Royal Opera House. So ganz nach Plan und Wunsch sind die Besuche am 9. und 13. März in meinem
zweitliebsten Opernhaus nach München dann leider nicht gelaufen. Bedauerlicheweise hatte sich der
Darsteller des Florestan, Jonas Kaufmann, kurz vor den zwei Terminen wegen eines nicht ausgeheilten
Infektes krank gemeldet. Diese Nachricht verursachte natürlich erst einmal eine gewisse Enttäuschung,
auch wenn den Hauptanteill in dieser Oper nicht die Partie des Florestan inne hat, sondern den der Leonore. Damit ist und war der Star in dieser Premierenserie auch nicht der deutsche Startenor Jonas
Kaufmann, sondern die junge norwegische Sopranistin Lise Davidsen. Als Einspringer für den Münchner Opernsänger war beide Male der 39jährige britische Tenor David Butt Phillip zu erleben.
Weitere Änderungen in der Besetzung gab es zum Glück nicht. Bezüglich der Bühnenfotos bitte ich um
Verzeihung, dass ich die bereits bekannten verwende, auf denen auch Jonas Kaufmann zu sehen ist und nicht seine Vertretung in London.
(C) Bill Cooper / Royal Opera House
Um einen nicht zu ausufernden Beitrag zu verfassen, habe ich mich dafür entschieden, die zwei Vorstellungen vom 9. und 13. März zusammenzufassen und hoffe, ich kann so einen guten Eindruck von dem Bühnengeschehen vermitteln.
Die Inszenierung in London von Tobias Kratzer ist in zwei Abschnitte eingeteilt worden. Der erste Akt
ist angesiedelt in den Zeiten der Französischen Revolution,mit historischen Kostümen und einem klassisch gestalteten Bühnenbild, insgesamt sehr unaufgeregt und reduziert. Noch reduzierter geht es im zweiten Akt auf der Bühne zu. Zu sehen ist ein heller Boden, auf dem ein dunkelgrauer Felsen trohnt, im Hintergrund ist eine weiße Wand mit einem Portal sichtbar. Um den Felsen herum in einem Halbkreis gruppiert mehrere Stuhlreihen, auf denen der Chor plaziert ist. Diese beiden unterschiedlich gestalteten
Akte schlagen damit einen Bogen von den Zeiten der Französischen Revolution bis in unsere Gegenwart. Eine durchaus gelungene Inszenierung, die Beethovens Musik nicht überdeckt und die Geschichte in den Mittelpunkt stellt.
Die Besetzung in dieser Premierenserie war trotz Ausfall von Startenor Jonas Kaufmann ein großer
musikalischer Genuss. Lise Davidsen, Georg Zeppenfeld, Amanda Forsythe, Simon Neal, Robin Tritschler und natürlich David Butt Phillip in der Partie des Florestan. Auffällig war, dass es mit dem Bass
Georg Zeppenfeld in der Rolle des Rocco nur einen Muttersprachler in dieser Neuproduktion gab. Diese Tatsache hatte zur Folge, dass die Textverständlichkeit nicht immer ganz gegeben war. Dieses tat dem Genuss der Abende aber keinen Abbruch.
(C) Bill Cooper / Royal Opera House
Im Mittelpunkt aller Vorstellungen stand die junge Sopranistin Lise Davidsen in der Titelpartie. Ich konnte mich persönlich zweimal von dem großen Talent der norwegischen Opernsängerin überzeugen.
Diese junge Sängerin überzeugt nicht nur mit einer wunderbaren klaren Stimme, die spielend jede Höhe nimmt, sondern auch mit einer beeindruckenden Bühnenpräsenz und einer großen Spielfreude. So war es auch beim Fidelio am Royal Opera House. Ausgeprochen authentisch vermitellte Lise Davidsen die Geschichte dieser jungen mutigen Frau, die ihr eigenes Leben riskiert und auch bereit ist, einen Menschen
zu retten, dem sie in ihrem Leben das erste Mal begegnet. Mutig und uneigennützig tritt sie für andere ein. Sie ist eine wahrhaft liebende Ehefrau, die alles dafür tun würde, um das Glück ihres Lebens zu retten und zu bewahren. Ich möchte noch einmal auf die stimmlichen Qualitäten der jungen Norwegerin zurückkommen. Lise Davidsen besitzt nicht nur eine wunderbare Strahlkraft in den Höhen, sondern ist auch in der Lage, ganz zarte Momente zu erschaffen, ist auch in den leisen Tönen sehr gut wahrnehmbar und hat zudem auch in der deutschen Sprache eine sehr gute Textverständlichkeit.
(C) Bill Cooper / Royal Opera House
Als nächstes möchte ich zu zwei Kollegen von Lise Davidsen kommen, die insbesondere im ersten Akt an ihrer Seite zu erleben waren. Das waren zum einem der bereits erwähnte deutsche Bass Georg Zeppenfeld in der Partie des Kerkermeisters Rocco und zum anderen die amerikanische Sopranistin Amanda Forsythe als seine Tochter Marzelline. Beide Opernsänger konnten sowohl durch eine sehr schöne stimmliche Ausarbeitung als auch durch eine überzeugende Darstellung zu einer Verdichtung der gesamten Szenerie beitragen. Besonders Georg Zeppenfelds wunderbarer warmer Bass war ein Genuss und zeigte wieder einmal, dass stimmliche Qualität und Volumen nicht zwangsläufig etwas mit einer gewissen Körperfülle zu tun haben. Ergänzend hinzu kommt seine Bühnenpräsenz und eine sehr angenehme ruhige Ausstrahlung. Bevor ich zum Darsteller des Florestan komme, seien auch noch drei weitere Mitglieder des Ensembles genannt, die ebenfalls eine gute Leistung ablieferten und so auch zum Erfolg dieser Neuproduktion und an den Abenden des 9. und 13. März beitrugen: Egils Silins als Don Fernando, Robin Tritschler als Jaquino und Simon Neal als Bösewicht Don Pizarro.
(C) Bill Cooper / Royal Opera House
In der Partie des Florestan hatte der junge britische Tenor David Butt Phillip eine verantwortungsvolle und nicht ganz einfache Aufgabe zu übernehmen. Für einen der zur Zeit besten und erfolgreichsten Tenöre und Opernsänger wie Jonas Kaufmann einzuspringen ist sicher eine gewisse Herausforderung.
David Butt Phillip hat diese Herausforderung angenommen und er hat sie wirklich sehr gut gemeistert.
Gesanglich konnte er, bis auf eine kleine anfängliche Unsicherheit am 9. März, durchgehend überzeugen.
Die Stimme des jungen Briten ist leicht, hat aber trotzdem genug Kraft ,um sich gegen das Orchester oder seine Kollegen durchzusetzen. Er ist in der Lage, mit viel Ausdruckskraft die Empfindungen seiner Figur authentisch zu vermitteln. Verwzeiflung, Angst und Resignation von Florestan sind jederzeit
spürbar und vermitteln authentisch die dramatische Situation, in der sich Leonores Ehemann seit zwei Jahren befindet. Eine kleine Schwäche zeigte der 39jährige Opernsänger allerdings im Bereich
der schauspielerischen Fähigkeiten. Diesbezüglich fehlte eine gewisse Natürlichkeit . Ein wenig zu
überambitioniert wirkten die Darstellung, seine Gesten, die Mimik zeitweise. Das Talent der szenischen Darstellung ist nicht jedem Schauspieler oder Opernsänger gegeben. Zusammenfassend war die Leistung von David Butt Phillip aber aller Ehren wert und dem kurzfristigem Einspringen gebührt aller
Respekt.
(C) Bill Cooper / Royal Opera House
Abschließend sollte auch noch ganz dringend der Chor erwähnt werden, der hier eine wunderbare Vorstellung ablieferte, zu einer starken Verdichtung der Geschichte beitrug und die Inszenierung mit trug.
Die letzten Sätze in meinem Beitrag widme ich dem Dirigenten dieser Premierenserie, dem Musikdirektor des Royal Opera House, Sir Antonio Pappano. Er gehört für mich zu einer der besonders
beeindruckenden musikikalischen Persönlichkeiten. Seine Leidenschaft für die Musik ist ungebrochen und sein Wissen von zahlreichen Werke unerschöpflich. Bei der Neuproduktion von Beethovens Fidelio am Royal Opera House war das nicht anders. Toni Pappano, wie er auch kurz genannt wird, widmete sich
mit Herzblut dieser Musik, war jederzeit an der Seite der Sänger und bereitete Ihnen einen wunderbaren
Klangteppich, auf dem sie sich sicher bewegen konnten. Jederzeit spürte man den großen Respekt und die Liebe für die Musik, aber auch das Wissen um jedes noch so kleine musikalische Detail. So war es möglich, auch dieses Werk unter der Leitung des Dirigenten mit italienischen Wurzeln mit allen Sinnen zu erleben und zu genießen.
(C) Bill Cooper / Royal Opera House
Am Ende gab es für das gesamte Ensemble, Sänger, Chor, Orchester und den Dirigenten eine Menge Applaus und viele Jubelrufe. Alle Künstler nahmen erfreut und gerührt die Dankbarkeit des Publikums entgegen und traten immer wieder nach vorne, um sich feiern zu lassen.
Trotz der Umbesetzung des Florestan waren diese zwei Abende im Royal Opera House ein großer
musikalischer Genuss für mich. Dafür gab es zu viele postive Aspekte: London, eine meiner Lieblingsstätten, das Royal Opera House, eines meiner Lieblingsopernhäuser, Fidelio, eine meiner liebsten Opern, Antonio Pappano am Pult und ein Aufgebot an Sängern, das mit wenigen kleinen Abstrichen die Musik und die Geschichte zu den Zuschauern im Saal trug.
Einen Tag später bin ich zurück nach München geflogen. Zwei Tage danach kam auch der Shut Down im gesamten United Kingdom. Die letzte Vorstellung am 17. März, die weltweit live in den Kinos übertragen werden sollte, wurde aus den genannten Gründen abgesagt.
Als kleines Trostpflaster gibt es eine Radioaufzeichnung der Fidelio Premiere am 28. März auf BBC3
zu hören. Ich wünsche dabei viel Vergnügen und freue mich schon darauf, irgendwann auch wieder aus unsererm wunderschönen Nationaltheater in München und den Opern- und Konzerthäusern in Deutschland und
Europa berichten zu können.