Seelenwanderer in stillen Zeiten...

Jonas Kaufmann berührt mit Schumanns Dichterliebe

im Montagskonzert der Bayerischen Staatsoper


                                                                 29. April 2020

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Es waren schon wirklich bewegende Bilder und berührende dreißig Minuten, die man am 27. April bei der Übertragung des 4. Montagskonzertes der Bayerischen Staatsoper mit Robert Schumanns Dichterliebe

erleben durfte. Auf der Bühne des leeren Nationaltheaters stand einer der führenden und besten Opernsänger unserer Zeit, der Münchner (Star) Tenor Jonas Kaufmann. An seiner Seite sein ehemaliger Lehrer, guter Freund, treuer Begleiter seit mehr als zwanzig Jahren und ein wunderbarer Pianist,

Professor Helmut Deutsch. Vom Lichterglanz, Sternenstaub und dem nicht endenden Bravorufen des begisterten Publikums war an diesem Abend aber nichts zu spüren. Es war ein Anblick, der das Herz schwer werden ließ und die Sehnsucht weckte, endlich wieder die Magie und den Zauber der Musik live in einem Opern- oder Konzerthaus zu erleben. Stattdessen: ein leerer Zuschauerraum, ein nachdenklich wirkender Jonas Kaufmann, schlicht gekleidet in einem dunkelblauen Pullover, weißem Hemd und grauer Hose. Die mittlerweile fast vollständig ergrauten Locken, mangels Friseurbesuch, mühsam gebändigt.

(C) Link Youtube Jonas Kaufmann / Bayerische Staatsoper


Um so eindringlicher wirkte die Darbietung des 50jährigen Opernsängers. Der Münchner ist ein Mensch ,der sich intensiv mit seinen Rollen auseinandersetzt und mit dem, was seine Figuren antreibt, was sie bewegt und berührt. Es macht keinen Unterschied, ob es um den Charakter in einer komplexen

Opernhandlung geht oder um das Einzelschicksal in einem Liederzyklus wie der hier besungenen Dichterliebe, Schuberts Winterreise oder auch seiner schönen Müllerin. Jedes Mal taucht der sympathische Künstler vollkommen ein in die Geschichte, gestaltet intensiv mit allen Facetten seiner warmen baritonal gefärbten Stimme. An manchen Stellen war ich erstaunt, wie tief der Opernsänger mittlerweile seine Stimme senken kann und wieviel Substanz sie hat. Und trotzdem gelingen ihm die hohen Passagen, gerade im Piano und Pianissimo, immer noch wunderbar zart und weich. In den kraftvollen Passagen, in der Mittellage, liegt wohl die Stärke des Münchner (Star) Tenors. Sie weist eine beeindruckende Ausdruckskraft und Intensität auf. 

Die Diktion ist kaum besser möglich, jede Silbe ist klar und verständlich. Bis in die letzte Reihe eines Opern- und Konzerthauses sind die einzelnen Worte zu hören und gelangen auch noch ohne den kleinsten Verlust hinauf bis zum hintersten Platz auf der Gallerie.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Jonas Kaufmann ist ebenso ein herrausragender und ausdrucksstarker Darsteller wie Sänger. So zieht er seine Zuschauer tief hinein in das Geschehen und macht die Emotionen seiner Figuren spürbar. Zerrissenheit, Angst, Wut und Verzweiflung, all diese starken Empfindungen transportiert er auf direktem Wege in die Herzen der Menschen. Die Möglichkeit, auf diese Art zu gestalten und sich ausdrücken zu können, ist eine Gabe und ein großes Geschenk. Sie vermittelt eine Authentizität und Ehrlichkeit, die wahrhaft berührt. Der Münchner ist ein Geschichtenerzähler, der seine Figuren zum Leben erweckt und eine Verbindung schafft zwischen ihnen und dem Publikum. Er ist der Vermittler, der gleichfalls Erzähler ist und tragischer Held in der jeweiligen Handlung.

So erlebten es auch die Menschen, die sich am Montag des 27. April auf den Liederzyklus von Schumanns Dichterliebe einließen und dem Sänger folgten in die Welt einer aussichtslosen Liebe,  erfüllt von bitterem Schmerz. Der sympathische Künstler wechselte in seiner Art der Interpretation zwischen

einer fast opernhaften Stimme und der sehr zarten und zurückgenommenen Stimme hin und her. Gestik und Mimik waren sehr bewusst und vorsichtig eingesetzt und wirkten niemals übertrieben oder gar unpassend, sondern unterstrichen eindringlich  jedes gesungene Wort. Und besonders die ganz leisen Momente an diesem Abend lösten eine Ergriffenheit aus ,wie man sie nur selten verspürt.

Hin-und hergerissen zwischen Hoffnung und Verzweiflung kämpfte der junge Mann um sein Glück und Jonas Kaufmann,so schien es, litt mit ihm und wirkte selbst tief bewegt. So gab es an diesem Abend mehr als einen Augenblick, in dem man glaubte, auch eine Träne in den Augen des 50jährigen Opernsängers zu bemerken.

(C) Link Youtube Jonas Kaufmann / Bayerische Staatsoper


Am Ende war der Ausdruck in seinem Gesicht nachdenklich und ernst, der Blick leicht nach oben gerichtet. Dann wendete sich der Sänger langsam zur Seite, um seinem Freund und Pianisten Helmut Deutsch zu lauschen, mit dem er wie immer eine wunderbare Einheit bildete und der mit seinem Spiel, den gesungenen Worte, der erzählten kleinen Geschichte, noch mehr Nachdruck verlieh.

Langsam verklang die traurige Melodie des letzten Liedes im leeren Nationaltheater...Stille machte sich breit...

Einige Augenblicke später wendete sich Jonas Kaufmann noch einmal den Kameras zu, bedankte sich bei seinem (virtuellen) Publikum und sprach zwei Sätze,die sicher nicht nur mir zu Herzen gingen und die niemand seiner Fans so schnell vergessen wird. Die wenigen Worte kamen, so war es deutlich zu spüren, aus vollstem Herzen und den Tiefen seiner Seele:"I hope to see you soon. Because music without an audience is not the same for me." Einen schöneren und passenderen Schlusssatz kann es wohl kaum geben.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Für alle,die nochmal genau den Text von Schumanns Dichterliebe nachlesen wollen, habe ich hier den entsprechenden Link vorbereitet. Auch weitere Hintergrundinformationen zu diesem Liederzyklus gibt es bei Wikipedia nachzulesen.

Auf Youtube habe ich noch eine Aufzeichnung der Dichterliebe mit Jonas Kaufmann aus dem Jahre 2014 gefunden.

Die Aufnahme ist  sehr schön und qualitativ hochwertig. Vielen Dank an Listen to Jonas Kaufmann!

(C) Link Youtube / Listen to Jonas Kaufmann


Auch wenn der Höhepunkt dieses Abends die Dichterliebe mit Jonas Kaufmann war, so dürfen die anderen Künstler auf keinen Fall vergessen werden, insbesondere nicht der Auftritt von Elsa Benoit. Ihre Arie "Piangero la sorte mia" von Georg Friedrich Händel war dem langjährigen Intendanten

Sir Peter Jonas (1993-2006) gewidmet, der am 22. April nach langjähriger und schwerer Krankheit verstorben war. Dementsprechend emotional war dieser Beitrag.

Die Sopranistin Elsa Benoit, Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper seit der Saison 2016/17 und Mitglied des jungen Opernstudios von 2013-2015, gestaltete Händels wunderschöne Arie mit viel Gefühl. Die junge Frazösin hat eine kraftvolle und ausdrucksstarke Stimme, nimmt mühelos auch große

Höhen und weiß sowohl in den Fortepassagen wie auch in den Pianostellen zu überzeugen. Wer sie bereits auf der Bühne in einer Opernproduktion erleben durfte weiß, dass sie auch eine überzeugende Darstellerin ist. Die junge Sängerin ist breits mehrfach mit unterschiedlichen Musikpreisen ausgezeichnet worden. Auch in der kommenden Spielzeit wird sie an der Bayerischen Staatsoper regelmäßig zu hören sein.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Direkt nach Elsa Benoit und vor Jonas Kaufmann waren noch einige Musiker des Bayerischen Staatsorchester an der Reihe: das Münchner Klaviertrio. Michael Arlt(Violine), Gerhard Zank(Violoncello), Donald Sulzen(Klavier) und Tilo Widenmeyer(Viola) betraten die Bühne des Münchner Nationaltheaters. Zu hören war das Klavierquartett Es-Dur KV 493 von Wolfgang Amadeus Mozart. Das Klavierkonzert fügte sich sehr schön ein in das Gesamtprogramm und rundete den Abend ab. Die vier Musiker bewiesen ,warum das Bayerische Staatsorchester zu recht immer wieder als eines der Besten Orchester ausgezeichnet wird.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Mit dem Konzert am 27. April startet die Bayerische Staatsoper erneut die Reihe der Montagskonzerte,

die zwischenzeitlich von der Bayerischen Staatsregierung untersagt worden waren. So folgen weitere musikalisch hochkarätige Abende mit Sängern und Musikern der Bayerischen Staatsoper bzw. Künstlern, die dem Haus zugetan sind und die Möglichkeit haben, dort aufzutreten. Alles in kleiner Besetzung (Liederabende, Kammerkonzerte) und unter den vorgebenen strengen Hygiene- und Abstandsregeln. Das 5. Konzert am 4. Mai wird alleine von dem deutschen Bariton Christian Gerhaher und gemeinsam mit seinem Pianisten und Freund Gerold Huber gestaltet. Das 6. Konzert am 11. Mai bietet wieder ein gemischtes Programm unterschiedlicher Künstler. Alle weiteren Informationen zu dieser Konzertreihe sind auf der Website der Bayerischen Staatsoper unter Staatsopern TV zu finden. Zum Abschluss sei noch erwähnt, dass jedes Konzert jeweils für 7 Tage(immer 2 Tage nach der ersten Ausstrahlung) auf Staatsopern TV als VOD (VIDEO ON DEMAND) zu genießen ist.

Und bitte spendet weiter für die freischaffenden Künstler, die durch die derzeitige Krise in bedrohliche

Existenznöte geraten und bereits geraten sind. Wer sich eines der live gestreamten Montagskonzerte anschaut oder eines der zahlreichen Videos vergangener Opernübertragungen, der wird zu Beginn gefragt,ob er bereit ist, eine Spende abzugeben, die entweder an Theater und Live Art München e.v. geht

oder an die Deutsche Orchester-Stiftung. Letztere steht unter der Schirmherrschaft von Kirill Petrenko und der Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Alle notwendigen Informationen gibt es unter

dem folgenden Link. https://www.staatsoper.de/spenden.html

                                       DANKE!


(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper