Eine Rezension aus dem Jahre 2018
(C) Cathrine Ashmore / Royal Opera House
Seit dem 11. Mai ist sie endlich auf dem Markt käuflich zu erwerben, die DVD Aufnahme zur Neuinszenierung von Verdis Meisterwerk Otello mit dem lang erwarteten Rollendebüt vom Münchner (Star) Tenor Jonas Kaufmann. Der sympathische Opernsänger hatte sich viel Zeit genommen, bis er sich szenisch und in voller Länge an diese vor allem darstellerisch und emotional schwierige Partie heranwagte. An seiner Seite ein Musiker und Dirigent ,dem er vollständig vertraut und der nach seiner Aussage genau das gleiche Verständnis und die selbe Auffassung von Musik und deren Interpretation hat: Antonio Pappano. Unter seiner musikalischen Leitung hat der 48jährige Münchner schon in unzähligen Rollen sein Debüt gegeben. Und auch was den Otello betrifft war klar, wer sein Wunschkandidat am Dirigentenpult sein sollte. Das Regiekonzept dieser Neuproduktion stammt von Keith Warner, der mit Antonio Pappano schon zahlreiche Operninszenierungen zusammen erarbeitet hat. Er ist Jemand, der die große, auch musikalische Intelligenz der Sänger schätzt und legt wert darauf legt, seine Regiekonzepte mit den Sängern auf der Bühne gemeinsam zu entwickeln. Diese Arbeitsweise kommt der von Jonas Kaufmann sehr entgegen, da er sich gerne einbringt und seine Gedanken, Vorschläge aber auch Einwände äußert. Gerade er ist ein Künstler, der sich sehr intensiv mit seiner nicht nur neuen Rolle beschäftigt, um sie so authentisch wie möglich zu gestalten und auf der Bühne darzustellen. Insbesondere Antonio Pappano hebt gerade diese große musikalische und emotionale Intelligenz des Münchners immer wieder hervor. Auch für den Dirigenten, der ebenfalls im positiven Sinne ein Perfektionist ist, sind gerade die manchmal ganz kleinen Details enorm wichtig und aussagekräftig. Die Gefühlswelt der Protagonisten, gerade in Verdis Meisterwerk Otello, glaubwürdig darzustellen und intensiv über die Stimme zu vermitteln ist der Schlüssel, um die Menschen im Zuschauerraum wirklich und tief zu berühren.
(C) Catherine Ashmore / Royal Opera House
So waren bei dieser Neuinszenierung schon einmal drei immens wichtige Faktoren gegeben. Die Besetzung der Titelpartie mit einem der besten Opernsänger und Tenöre, die es zur Zeit gibt, einem Dirigenten, der so vollkommen mit und in der Musik lebt und mit ihr erfüllt ist, Antonio Pappano und einem der erfolgreichsten und erfahrensten Regisseure im Bereich der Oper, Keith Warner. Natürlich stand Jonas Kaufmann nicht alleine auf der Bühne. An seiner Seite waren zwei wunderbare Kollegen. Seine Desdemona war hier die italienische Sopranistin Maria Agresta und der teuflische Intrigant Jago wurde verkörpert vom italienischen Bariton Marco Vratogna. Auch der Rest des Casts war erstklassig besetzt. Der Chor,der in dieser Oper durchaus einige starke Momente hat, besonders die grandiose Eröffnungsszene zum Beginn, überzeugt auf ganzer Linie und trägt ebenfalls zu einem großen Erfolg dieser Neuproduktion bei. Da das lang ersehnte Rollendebüt des Münchner Opernsängers natürlich im Vordergrund stand, geriet vermutlich die zweite Besetzungsvariante mit Gregory Kunde, Dorothea Röschmann und Zeljko Lucic manchmal ein wenig in den Hintergrund, zumindest außerhalb von London.
(C) Link Youtube / Royal Opera House
Nun aber noch ein paar Worte zum ersten Auftritt von Jonas Kaufmann als Kriegsheld und Feldherr Otello, der auf dem Schlachtfeld so erfolgreich ist und als Mann und Ehepartner auf ganzer Linie versagte, weil die Liebe ihm vollkommen fremd ist, genauso wie die Beziehung zu einer Frau. Und genau dort liegt wahrscheinlich auch die Herausforderung: diesen Menschen, diesen schwierigen Charakter darzustellen und glaubwürdig zu vermitteln und sich vor allem nicht von den enorm starken, vor allem negativen Gefühlen wie Hass und Eifersucht, mitreißen zu lassen. Dem Münchner Opernsänger ist das bei seinem Debüt bereits sehr gut gelungen, da er seine ganz eigene Interpretation zusammen mit Antonio Pappano und Keith Warner entwickelt hat. Sein Otello ist zwar ein starker Heerführer auf dem Schlachtfeld, sehr intelligent und erfolgreich im Kampf. Als Mensch und Mann vor allem ist er mit den einfachsten Mitteln zu manipulieren. So hat sein angeblich bester Freund und ergebenster Begleiter Jago ein leichtes Spiel. Einige Worte und ein kleines Stück Stoff reichen aus, um den Eifersuchtsdämon bei ihm einzupflanzen. Immer mehr setzt sich der Gedanke in Otello fest, Desdemona hätte eine Affäre mit Cassio; der Wahnsinn hält immer mehr Einzug in seinen Kopf und lässt ihn am Ende zum eiskalten Mörder werden. Genau diese Entwicklung vom ersten Misstrauen bis zum Mord an seiner Frau, der den Zuschauer erschauern lässt, brachte Jonas Kaufmann „erschreckend“ realistisch auf die Bühne. Der Wahnsinn, aber auch die Verzweiflung und Überforderung mit dem Geschehen spiegeln sich in der Darstellung und vor allem in der Stimme des Künstlers wider. In jedem Augenblick behält er den engen Kontakt zu seiner Figur. Mimik und Gestik sind ausdrucksstark und vermitteln die Gefühlswelt von Otello intensiv und eindringlich. Es gibt nur eine Szene, in der die Verletzlichkeit des Feldherrn zu Tage tritt, die aber um so wichtiger ist, um den Gegensatz zur massiven Eifersucht und Brutalität zu zeigen. Es ist das Liebesduett im ersten Akt. Diese Zerbrechlichkeit, die nur in diesem Duett zu erleben ist,wird es im Anschluss nicht mehr geben. Jonas Kaufmann nutzt diese eine Szene, um die Seite des Feldherrn zu zeigen, die sonst nicht zu Tage tritt. Wenn Otello sich Desdemona öffnet, verletzlich wie ein Kind zu ihren Füssen und in ihrem Schoss liegt, dann ist zu spüren, wie fragil das Gebäude ihrer Liebe ist. Nur kurze Zeit später zerbricht diese Welt für immer. Von nun an beherrschen Eifersucht, Hass und der Wunsch, seine Frau zu töten, seine Gedanken. Langsam hält der Wahnsinn Einzug in Otellos Kopf. Er beleidigt Desdemona , beschimpft sie, wird gar handgreiflich und demütigt sie vor aller Augen. Der eiskalte Mord zum Schluss und der eigene Selbstmord sind die grausame Folge von Jagos perfider Intrige. Eindrucksvoll zu erleben, wie Jonas Kaufmann diese extremen Gefühlslagen meistert, die er, so hoffen wir, in der Form noch nicht erlebt hat. Ein Höhepunkt dieser Oper ist sicher die Arie von Otello im dritten Akt; „Dio! mi potevi scagliar,“ ein Gespräch direkt zu Gott. Unglaublich depressiv, düster und verzweifelt. Im letzten Akt gibt es mit dem Mord an Desdemona und dem anschließenden Selbstmord nur noch eine weitere Steigerung von Dunkelheit und Wahnsinn.
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Der Münchner Opernsänger zeigt in dieser Inszenierung und mit seinem Rollendebüt nicht nur, was für unglaublich große schauspielerische Leistungen er zu bringen in der Lage ist, sondern auch, welch fantastische Entwicklung seine Stimme gemacht hat und wie flexibel sie ist. Diese Partie braucht sowohl die tiefen Register ebenso wie klare strahlende Höhen. Die gesangliche Interpretation verlangt in einigen Momenten Zartheit, Zerbrechlichkeit und Verzweiflung und dann wieder soviel Kraft, Energie, Wut, Hass und Eifersucht, die unmittelbar zu spüren sein muss. Der Sänger des Otello braucht eine große Flexibilität in der Stimme und er muss eine sehr gute Kontrolle in den Augenblicken der ganz starken Gefühle und Ausbrüche haben, um sich nicht zu verletzen. All diese Qualitäten bringt der sympathische Münchner mit und damit alle Vorrausetzungen, auch in der Zukunft weitere Erfolge mit dieser Partie zu feiern. Auf dem Youtube Channel des ROH gibt es zwei Kostproben von dieser DVD genauso wie Einblicke in die Probenarbeit bei dieser Neuproduktion.
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Maria Agresta als Desdemona und Marco Vratogna als Jago sind in dieser Produktion Kollegen auf Augenhöhe, die in ihren Rollen aufgehen und sie sowohl darstellerisch als auch gesanglich glaubwürdig auf die Bühne bringen. Der italienische Bariton hätte an manchen Stellen noch dämonischer sein können und etwas vielschichtiger bezüglich Gestik und Mimik. Maria Agresta in der weiblichen Hauptrolle hat mir gut gefallen; sie hat eine angenehme und klare Sopranstimme, die sowohl die leisen Töne wie auch die dramatischen Momente beherrscht. Vielleicht fehlte ihr manchmal das zarte und zerbrechliche in ihrer Darstellung, im vierten und letzten Akt gelang ihr das aber sehr überzeugend. Der Willowsong und das Ave Maria hat sie unglaublich traurig und verzweifelt gesungen, sicher einer der ergreifensten Momente in dieser Oper.
(C) Catherine Ashmore / Royal Opera House
Die Inszenierung traf nicht bei jedem auf eine entsprechende Begeisterung, war insgesamt aber sehr stimmig und mit einer engen und intensiven Personenführung verbunden. Kostüme und Bühnenbild ergaben eine perfekte Ergänzung. Die Dunkelheit, die Depression, alle negativen Gefühle wie Hass und Eifersucht und der Wahnsinn, der langsam Einzug hält in Otellos Kopf, wurden eindringlich mit dem Regiekonzept von Keith Warner widergespiegelt. Auch das Teuflische von Jago und die Liebe Desdemonas werden zum Ausdruck gebracht. Ein Spiel mit wenig Licht und viel Schatten.
Das Dirigat von Antonio Pappano war in allen Facetten perfekt, wunderschön, intensiv, eng verbunden mit der dramatischen Geschichte und vor allem immer ganz nah bei den großartigen Sängern auf der Bühne. Dieser Künstler ist so erfüllt von der Musik und von dem, was er tut, dass es überall aus ihm herausströmt und den ganzen Raum erfüllt. Und wenn er am Klavier sitzt und die Welt der Oper erklärt,
dann kann man nicht anders als ihm stundenlang zu lauschen und sich gefangen nehmen zu lassen von soviel Leidenschaft und Begeisterung. Was die italienische Opernliteratur angeht, gibt es zur Zeit keinen Dirigenten, der enger mit dieser Musik verbunden ist als Antonio Pappano.
So kann das Fazit nur lauten: wer noch nicht im Besitz dieser großartigen DVD ist, die es natürlich
auch als Blue-Ray- Ausgabe gibt, sollte so schnell wie möglich in die Klassik- Abteilung seines Vertrauens gehen oder das Internet bemühen, um in den unverzichtbaren Genuss dieses
Musikereignisses zu kommen. Amazon ist zum Beispiel eine verlässliche Quelle.
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Die gute Nachricht ist ja, dass es in einem halben Jahr an der Bayerischen Staatsoper in München, genau gesagt im Nationaltheater, eine weitere Chance geben wird, Jonas Kaufmann in der Titelpartie von Verdis Meisterwerk zu erleben. Dann ist an der Seite des weltweiten Publikumsliebling seine häufigste Bühnenpartnerin und wunderbare Kollegin Anja Harteros. Mit dieser Konstellation geht sicher nicht nur für mich ein Traum in Erfüllung. Die deutsch- griechische Sopranistin mit der magischen Stimme als Desdemona zusammen mit Jonas Kaufmann als Otello auf der Bühne, ein musikalischer Hochgenuss auf höchstem Niveau ,das man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte. Auf keinen Fall sollte vergessen werden zu erwähnen, dass Maestro Kirill Petrenko die musikalische Leitung in dieser Neuproduktion übernimmt. Diese Kombination lässt wirklich keine Wünsche übrig. Die Regie für die Neuinszenierung in München wird Amelie Niermeyer übernehmen, die dort vor zwei Jahren eine wunderbare Fassung von Donizettis Oper La Favorite auf die Bühne brachte. Für sie ist Otello vor allem eine intimes Kammerspiel, bei dem sie den Hauptfokus auf das ungleiche Ehepaar legen wird. Eine spannende Herangehensweise, die viel Raum für zwei Sängerdarsteller wie Jonas Kaufmann und Anja Harteros lässt.
Premiere ist am 23. November diesen Jahres!
Die Kritik zum Otello 2018 an der Bayerischen Staatsoper gibt es unter der
Rubrik Erinnerungen auf diesem Blog nachzulesen.
(C) Amazon.de
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