Dunkle Schatten...Zerstörte Seele...

Die neue Otello Gesamtaufnahme mit Jonas Kaufmann

   Von Hannah Klug / Wunderbare Welt der Oper

                           5. August 2020


(C) Lena Wunderlich /Sony Classical


Viel später als ursprünglich geplant kommt nun auch endlich meine Rezension zur neuen Otello Gesamtaufnahme mit Jonas Kaufmann in der Titelpartie und Sir Antonio Pappano am Pult. Das neue Juwel der Operneinspielungen erschien nach langer Wartezeit und zahlreichen, der Coronakrise geschuldeten Verschiebungen am 12. Juni diesen Jahres auf dem internationalen  Klassikmusikmarkt.

Im Pressetext von Sony Classical ist zu lesen: " Jonas Kaufmanns neues Album ist eine Gesamteinspielung von Verdis spätem Meisterwerk Otello. Die Aufnahme, die in intensiver zweiwöchiger Arbeit im Sommer letzten Jahres in Rom entstand, ist ein weiteres Beispiel für die Partnerschaft des Tenors mit Antonio Pappano, der bereits Kaufmanns Rollendebüt am Covent Garden dirigiert hatte. Hier leitet Pappano Orchester und Chor der Accademia Nazionale di Santa Cecilia. Die Sopranistin Frederica Lombardi singt erstmals die Desdemona und der Bariton Carlos Alvarez die Rolle des Jago. Dabei handelt es sich um den ersten römischen Otello seit der legendären Living-Stereo-Aufnahme von 1960 mit Jon Vickers, Leonie Rysanek und Tito Gobbi unter der Leitung von Tullio Serafin."

Bereits nach kurzer Zeit setzte sich die neue Otello Gesamtaufnahme an die Spitze der offiziellen deutschen Klassik-Charts. Es ist das insgesamt 13. Nr.1 Album des deutschen Weltstars. Nur seine Kollegin Anna Netrebko hat mehr Alben an dieser Position platziert. Eines ist aber sicher: diese wunderschöne und in allen Punkten gelungene Einspielung hat die Krone der klassischen Musik in höchstem Maße verdient. Und ziemlich wahrscheinlich wird es auch beim Opus Klassik nächstes Jahr eine entsprechende Ehrung geben.

Und auch wenn Jonas Kaufmann die Titelpartie inne hat und einzig und alleine das CD Cover von Otello

ziert, ist es selbstverständlich eine Gemeinschaftsarbeit von zahlreichen wunderbaren Sängern und Musikern, wie die italienische Sopranistin Frederica Lombardi in der Rolle der Desdemona oder dem spanischen Bariton Carlos Alvarez als Jago.

Einen besonders großen Anteil am Gelingen dieser Gesamtaufnahme von Guiseppe Verdis Meisterwerk hat ohne Frage Antoinio Pappano mit seinem Orchestra e Coro dell` Accademia Nazionale. Er hatte u.a. bei der ebenfalls sehr gelungenen Einspielung von Aida aus dem Jahre 2015 die musikalische Leitung in Rom. Mit dem deutschen Opernsänger nahm er  im selben Jahr noch ein hochkarätiges Album mit Puccini Arien auf, das den klangvollen Titel Nessun Dorma trägt und eng verbunden ist mit dem heute schon legendären Solokonzert des Münchners an der Mailänder Scala.

Bevor ich mich in den nächsten Abschnitten näher mit den einzelnen Hauptdarstellern und der musikalischen Qualität beschäftigen möchte, gibt es zunächst noch das Making of Video zu dieser Otello

Gesamtaufnahme, das Jonas Kaufmann selbst eingesprochen hat und erste sehr gute Eindrücke zur Entstehung zu dieser CD gibt. Außerdem gibt es noch einige persönliche Gedanken des Opernsängers zu hören sowie ein paar Impressionen von den Proben.

(C) Link Youtube Sony Classical / Jonas Kaufmann


Von der ersten Sekunde an nimmt diese Einspielung seinen Zuhörer gefangen und zieht ihn binnen kurzer Zeit in diese Geschichte aus aufgestauten und nicht verarbeiteten Gefühlen, die sich irgendwann in einem

Sturm entladen und alles um sich herum zerstören. Zu Beginn steht eine der wohl schönsten Einstiege in eine Oper, der Sturm ganz zu Beginn der Handlung, der die Figur des Titelhelden in die Geschichte einführt sowie die des Intriganten Jago. Verdi hat hier  mit seiner Musik eine so intensive und dramatische Atmosphäre geschaffen,dass  man  den Sturm förmlich mit Fingern greifen könnte.

Antonio Pappano ist genau der Richtige, um genau diese Stimmung mit seinem Orchester und Chor perfekt umzusetzen. So dauert es nur wenige Augenblicke und man lauscht gefesselt dem Geschehen.

Von da an gibt es kein Zurück mehr. Wer begonnen hat, dieser CD zu lauschen, muss sie bis zum allerletzten Ton zu Ende hören, saugt alles in sich auf und ist gefangen genommen von der Intensität, aber auch von der Klarheit dieser Aufnahme. Antonio Pappano schafft seinen Sängern einen Klangteppich von so reichen Farben und deckt die einzelnen Stimmen dabei niemals zu, sondern trägt sie in jeder Sekunde auf Händen. Für diese Otello Gesamtaufnahme ist der Musikdirektor des Royal Opera House mit seinem Orchestra e Coro dell´ Academia Nazionale di Santa Cecilia die ideale Besetzung. Ein Glücksfall,der zu dem großen Erfolg maßgeblich beitragen wird. Der britische Dirigent mit den italiensichen Wurzeln und Wohnsitz in London gehört sicher zu den Künstlern der Klassikszene, in deren Adern Musik fließt und die mit jeder Faser ihres Körpers das leben, was sie so sehr lieben. Bevor es mit den drei Hauptdarstellern weiter geht, möchte ich hier noch ein Gespräch einfügen zwischen Jonas Kaufmann und Sir Antonio Pappano, das diese im Juni miteinander geführt haben. In dieser fast 40minütigen Konversation ging es um die gemeinsame Arbeit der beiden Künstler am Royal Opera House,aber natürlich auch um die aktuelle gemeinsame Einspielung des Otello in Rom.

(C) Link Youtube / Royal Opera House London


Die nächsten Abschnitte befassen sich nun mit den drei Hauptdarstellern dieser Gesamtaufnahme, wobei erwähnt werden muss, das auch die kleinen und kleineren Partien sehr zufriedenstellend besetzt sind und das wunderbare Gesamtbild abrunden. > Virginie Verrez-Emilia, Liparit Avetisyan- Cassio, Carlo Bosi-Rodrigo, Riccardo Fassi-Lodovico, Fabrizio Beggi-Montano, Gian Paolo Fiocchi-Un araldo.

Einen weiteren Protagnisten gibt es noch zu erwähnen,nämlich den Chor der Accademia Nazionale di Santa Cecilia. Auch wenn es im Otello insgesamt eine überschaubare Anzahl an Szenen gibt, bei denen der Chor eine Rolle spielt, sind diese aber hier besonders hörenswert und unterstreichen das Geschehen auf nachdrückliche Weise. Genau wie das Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia gehört auch der Chor zu den ältesten musikalischen Institutionen in Italien. Auf der offiziellen Website gibt es entsprechende Hintergrundinformationen zu lesen.

(C) Lena Wunderlich / Sony Classical


Bevor ich zum Inhaber der Titelfigur komme, hier meine Eindrücke zu den anderen zwei Hauptdarstellern, Carlos Alvarez und Frederica Lombardi. Mit  der italienischen Sopranistin möchte ich auch beginnen. Sie hat mich schon an der Bayerischen Staatsoper als Gräfin Almaviva in Mozarts Le nozze di Figaro überzeugt. Jetzt also gibt sie ihr Debüt als Desdemona auf dieser Otello Gesamtaufnahme. Sie ist für mich die Entdeckung bei dieser Neueinspielung. Ihre Stimme scheint wie geschaffen für diese Partie. Sie vermag sowohl die Zerbrechlickeit aber auch die Stärke und den Mut Desdemonas glaubhaft dem Zuhörer zu vermitteln. Sie ist in der Lage, die verschiedenen Farben ihrer Stimme so einzusetzen, dass sie jede Situation, die ihre Figur erlebt, glaubhaft widerspiegelt und unterstreicht. Frederica Lombardi weiß gekonnt, Piano und Forte einzusetzen und ist sowohl intonationssicher als auch sehr textverständlich. Der Klang ihres Soprans ist warm und angenehm und harmoniert excellent mit dem ihres Gesangspartners Jonas Kaufmann. Ihre Desdemona ist eine zärtliche und liebevolle junge Ehefrau. Gleichzeitig kämpft sie aber auch um ihre Liebe zu Otello und für ihre Überzeugungen. Sie tritt ein für Gerechtigkeit und glaubt an das gute im Menschen,  so auch bei ihrem Ehemann. Desdemona ist mutig und zerbrechlich zugleich. Sie ist ein gläubiger Mensch und findet darin die Kraft und Stärke, um die Ereignisse in ihrem Leben zu ertragen.Frederica Lombardi bringt all diese Facetten in ihrer Interpretation in dieser Aufnahme zusammen. Auf ihr szenisches Debüt kann sich die Opernwelt jetzt schon freuen.

Der Jago auf dieser Neueinspielung ist mit dem spanischen Bariton Carlos Alvarez besetzt. Für mich nicht ganz die Idealbesetzung. Hier fehlt ein wenig das abgrundtief Böse und das perfide Vorgehen in der Darstellung. Das tut der stimmlichen Leistung aber keinen Abbruch, macht aber die Interpretation  weniger vielschichtig als bei seinen Kollegen Jonas Kaufmann und Frederica Lombardi. Hier fehlt möglicherweise die szenische Darstellung, um Jagos perfiden Plan und seinen abgrundtiefen Hass gegen Otello noch intensiver zu vermitteln. Dennoch sind alle drei Hauptdarsteller ohne Frage auf Augenhöhe.

(C) Lena Wunderlich / Sony Classical


Nun soll es, ein wenig ausführlicher, um den Darsteller der Titelfigur, dem Münchner Opernsänger Jonas Kaufmann gehen. Dieser gab im Juni/Juli 2017 sein lang erwartetes und umjubeltes Rollendebüt als Otello am Royal Opera House. Im November/Dezember 2018 trat der deutsche Weltstar in seiner

Heimatstadt München erneut in dieser Partie auf und konnte abermals mit seiner Interpretation überzeugen. Nächstes Jahr im November wird der 51jährige Opernsänger dann mit dieser Figur die Saison im Teatro di San Carlo 2021 in Neapel eröffnen. Maria Argresta wird dann wie auch im Jahre 2017 wieder als seine Desdemona zu erleben sein.

Auf der neuen CD hat man fast das Gefühl, dass der Opernsänger ohne das Korsett einer szenischen Inszenierung noch freier singt und so die zahlreichen stimmlichen Möglichkeiten nutzt für seine Darstellung und so noch mehr in der Lage ist, loszulassen, ohne je den Blick bezüglich der kontrollierten Ekstase zu verlieren. Otellos Wandlung vom siegreichen Feldherrn zum Mörder seiner jungen Ehefrau ist hier von Kaufmann noch sehr viel differenzierter darsgestellt. Die maßlose Eifersucht, die ihn zerfrisst und die Wahnvorstellungen, die sich in Otellos Kopf immer mehr ausbreiten, sind hautnah jeden Augenblick zu spüren. Erschreckend authentisch ist die Interpretation, die der Münchner Opernsänger für seine Interpretation gewählt hat. In seiner dritten Produktion von Verdis Meisterwerk, auch wenn nur in einer Audioversion, spürt man, dass der Bezug zu dieser Figur sich noch weiter vertieft hat. Die Darstellung ist vielschichtig und intensiv und bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Beeindruckend gestaltet der sympathische Künstler die Spirale nach unten, in die Otello gerät und an deren Ende er von Hass und Eifersucht getrieben seine unschuldige Frau umbringt und sich anschließend selbst das Leben nimmt. Die Wutausbrüche, wenn der ehemals siegreiche Feldherr  um sich schlägt, zeigen die starke Ausdruckskraft, die der Stimme des Opernsängers zu Grunde liegt. Dann wieder wie durch die Zähne gesungen, fast wie ein Zischen, das dem Zuhörer Schauer über den Rücken laufen lässt. Otellos Verzweiflung am Schluss, wenn er begreift, was er getan hat, rührt zu Tränen. Dann gibt es nur noch tiefe Trauer und Schmerz zu vernehmen. Die Stimme wirkt gebrochen und erstirbt in einem letzten Seufzer, wenn der Feldherr sein Leben aushaucht. Der 51 Jährige taucht tief ein in den Charakter, wie er es stets tut und schaft so ein vielschichtiges Portrait seiner Figur. Zart und fast verletzlich in den leisen Momenten, die es abgesehen vom Liebesduett im ersten Akt nur ganz am Ende gibt. Und dann immer wieder wie von Sinnen, die kraftvollen Ausbrüche im Forte. So durchlebt der Zuhörer während dieser Aufnahme eine Achterbahn der Gefühle. Jonas Kaufmann hat auch nach wie vor einen beachtlichen Stimmumfang, ist intonationssicher und hat zudem eine überragende Diktion. Das Spiel mit der Stimme beherrscht er perfekt. Auch ein kleiner Schluchzer oder ein angedeutetes Weinen wirken niemals unnnatürlich oder gar übertrieben. Alles ist auch hier der Situation angepasst, in der sich seine Figur befindet. Der sympathische Opernsänger beweist auch jetzt wieder, warum er zu den besten, erfolgreichsten und vielseitigsten Künstlern seines Fachs gehört.

(C) Lena Wunderlich / Sony Classical


FAZIT:

Das Fazit kann nur lauten: Jeder Musikfan, der die wunderbare und kostbare Kunstform der Oper liebt, eine ausgezeichnete Klangqualität, ein perfekt eingepieltes Orchester unter einer excellenten Leitung, wunderschönen Stimmen und einem Drama, das zum Greifen nahe ist, sollte sich umgehend in die nächste Klassikmusikabteilung begeben oder einen entsprechenden Internetshop wie zum Beispiel Amazon besuchen, um diese neue Otello Gesamtaufnahme käuflich zu erwerben. Selbstverständlich gibt es auch die Möglichkeit, sich die Aufnahme auf den bekannten Streamingportalen wie Amazonmusic oder Spotify herunterzuladen. Diese CD Neueinspielung gehört in jedem Fall in jede gut sortierte Klassik CD Sammlung und verspricht Musikgenuss auf höchstem Niveau.

(C) Sony Classical


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